Ein Rückblick auf drei Jahre „Digitale Kartenwerkstatt Altes Reich“ (DigiKAR) zeigt, dass die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen neue Zugänge zu historischen Fragestellungen ermöglicht und innovative Forschung schafft. Zugleich ist das Projekt ein gutes Beispiel dafür, wie die Arbeit in interdisziplinären Teams in DH-Projekten eine wertvolle Kultur der Kollaboration befördert, die von Teamgeist, Transparenz von Forschungsprozessen und Mut zum Experimentieren geprägt ist. Auch wenn die Verständigung zwischen verschiedenen Fächern herausfordernd ist, sind die Lerneffekte und die Bereicherung der eigenen Perspektive durch den Austausch und das gemeinsame Arbeiten immens. In meinem Beitrag möchte ich anhand von ausgewählten Aspekten vermitteln, wie die Projektkoordination hierzu beitragen kann und diese Erfahrungen aus DigiKAR als Diskussionsansatz und Anregungen für andere interdisziplinäre Projektteams teilen.
DigiKAR in Kürze
Die „Digitale Kartenwerkstatt Altes Reich“ (DigiKAR) ist ein von 2021 bis 2024 durch die Leibniz-Gemeinschaft gefördertes Kooperationsprojekt des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte Mainz (IEG), des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig (IfL), des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg (IOS), der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris, Frankreich (EHESS).

Unter Anwendung von digitalen Methoden hat sich das interdisziplinäre Projektteam aus Historiker:innen, Informationswissenschaftler:innen und Kartograph:innen Fragen der Verflechtung, Pluralität und Konkurrenz räumlicher Strukturen im frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gewidmet. Anhand von Fallstudien zu unterschiedlichen Regionen mit thematischem Fokus auf Mobilität und Herrschaftsrechte wurden in der „Digitalen Kartenwerkstatt“ haben wir alternative Ansätze für die Erfassung, Aufbereitung und Darstellung mehrdeutiger räumlicher Konfigurationen und Praktiken erarbeitet. Dabei sind wir gezielt explorativ vorgegangen und haben einen bewussten Schwerpunkt auf die gemeinsame Erprobung verschiedener Konzepte zur Erfassung, Modellierung und Visualisierung von ortsbezogenen historischen Daten gelegt.
Um unsere Erfahrungen auch für andere Projekte nachnutzbar zu machen, steht eine Dokumentation unserer Prozesse und Ergebnisse zur Verfügung.1
Eine gemeinsame Sprache finden, um Konzepte auf den Punkt zu bringen
In interdisziplinären Teams sind Begriffe oft mehr als Worte — sie sind Konzepte, die unterschiedliche Bedeutungen für die Beteiligten haben. Und auch Methoden, Denk- und Arbeitsweisen unterscheiden sich in verschiedenen Disziplinen zum Teil erheblich, was die gemeinsame Arbeit an komplexen Forschungsfragen erschwert, wenn man sich nicht mit diesen Unterschieden auseinandersetzt und zu einer Verständigung zwischen den verschiedenen Disziplinen kommt. Dies war auch für DigiKAR eine Herausforderung. Insbesondere in den ersten Monaten des Projekts war es daher wichtig, eine gemeinsame „Sprache“ zu finden und stilles Wissen explizit zu machen, damit alle Teammitglieder auf derselben Basis arbeiten können. Wir haben festgestellt, dass Fachwissen, das nicht explizit gemacht, erklärt oder kontextualisiert wird, weil es in den jeweiligen Fachrichtungen als selbstverständlich gilt, nicht nur schnell zu Frustration in der Kommunikation führt, sondern auch zu konzeptuellen Ungenauigkeiten und Missverständnissen. Das wurde im DigiKAR-Projekt rasch anhand des Begriffs “Ort” deutlich, bei dem wir auf unterschiedliche Verständnisse stießen, die uns die Notwendigkeit einer grundlegenden Einigung auf gemeinsame Begriffe und Konzepte für die gemeinschaftliche Arbeit an unseren Forschungsfragen vor Augen führten.
Durch die Annäherung an einen gemeinsamen Begriff haben wir den punktbasierten Ansatz des Projekts geschärft, den wir im Verlauf der Arbeit weiterverfolgt haben und der schließlich einen wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse und die Potentiale der Vermittlung der Forschung von DigiKAR genommen hat. Dieser Ansatz versteht einen Ort als einen Punkt, der mit ihn definierenden und von anderen Punkten unterscheidenden raumkonstituierende Attributen verbunden ist. Die punktbasierten (d.h. ortsbasierten) Visualisierungen, die im Rahmen des Projekts entwickelt wurden, sind in der Lage, vielfältige räumliche Überlagerungen komplexer historischer Realitäten zu vermitteln. Damit bilden sie einen Gegenpol zu flächenbasierten Darstellungen, wie sie häufig in konventionellen Geschichtskarten zu finden sind, die eine homogenisierende territoriale Perspektive erzeugen und somit historische Komplexitäten verstellt.
Mut zur intensiven Kommunikation erreicht Tiefe
Solche Diskussionen erfordern neben Geduld und der Bereitschaft, voneinander zu lernen, auch Zeit und einen angemessenen Rahmen, den es in der Projektkoordination zu schaffen gilt. Im Projektmanagement lernt man, Meetings so kurz und ergebnisorientiert zu gestalten, dass man sie auch im Stehen abhalten kann (Daily-Standups). Dies geht insbesondere im geisteswissenschaftlichen Bereich aber häufig an der Arbeitsweise von Projektbeteiligten und den Rahmenbedingungen kollaborativer Forschungsprojekte zwischen mehreren Institutionen vorbei. Interdisziplinäre Projektarbeit erfordert daher ein flexibles und anpassungsfähiges Projektmanagement, das auf die mitunter sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Projektbeteiligten eingeht. Statt einen Rahmen zu bieten, in dem man sich gegenseitig kurz in den einzelnen Arbeitspaketen Resultate präsentiert, war es in DigiKAR daher wichtiger, Zeit und Raum zu schaffen, um regelmäßig thematisch in die Tiefe zu gehen und gemeinsam Prozessen und Ergebnisse zu erarbeiten. Nach der Erprobung verschiedener Formate haben wir unsere Sitzungen mit dem gesamten Projektteam verändert und ein monatliches zweistündiges Arbeitstreffen eingeführt, bei dem wir uns über Begriffe und Konzepte verständigen, neue methodische Ansätze erproben sowie konkrete Probleme diskutieren und lösen konnten.
Die Diskussionen führten naturgemäß auch zu Reibungen, die in kürzeren Austauschformaten nicht hätten aufgefangen werden können. Aber gerade von dieser Reibung profitierte das Projekt, da aus ihr häufig ein klareres Verständnis der Perspektiven der Projektbeteiligten resultierte. Dies trug nicht nur dazu bei, die Verständlichkeit und Anschlussfähigkeit der Ergebnisse einzelner für die anderen Projektpartner:innen zu verbessern, sondern auch die Qualität des Austauschs und somit, davon bin ich überzeugt, die Ergebnisse an sich. Zugleich stärkte es das Bewusstsein, in einem stetigen Prozess an den gleichen Zielen zu arbeiten, statt an einzelnen Arbeitspaketen, deren Fäden irgendwie zusammengeführt werden müssen.
Frühes Teilen eröffnet frühe Erkenntnisse
Ein zentraler Faktor in der Konzeption von DigiKAR war die Offenheit gegenüber experimentellen Ansätzen. Es war allen Beteiligten klar, dass nicht alle Methoden und Verfahren von Anfang an zum Erfolg führen würden. Wir haben daher bewusst das Scheitern von Methoden als Teil des Forschungsprozesses verstanden. Dass wir uns dies nicht nur innerhalb des Projekts zu Nutze machen können, sondern so auch Wissen und Erfahrungen mit Forscher:innen austauschen können, die an ähnlichen Fragestellungen arbeiten, hat zur Organisation von spezifisch ausgerichteten Communityworkshops geführt.

In zwei Communityworkshops (Regensburg 2023, Mainz 2024) haben wir unter verschiedenen Fragestellungen und Diskussionsimpulsen Projekte zum Austausch eingeladen, die zu ähnlichen historischen Fragestellungen und in den Bereichen der Modellierung und Visualisierung von historischen Orts- und Personendaten arbeiten. Durch die Offenheit des Austauschs, der Raum zum Reden über Fehler und Sackgassen ließ, wurde deutlich, dass viele Teams mit ähnlichen Herausforderungen kämpfen. Die gemeinsame Erkenntnis ähnlicher Problemstellungen schuf eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der Erfahrungen und Hindernisse offen thematisiert werden konnten. Dieser Austausch und die Vernetzung mit anderen Projekten ermöglichten es, Synergien zu nutzen, neue Ansätze zu entwickeln, Fehler zu vermeiden und gemeinsame Lösungen für Herausforderungen zu finden. Er half auch dabei, eigene Konzepte zu hinterfragen und neue Impulse für die eigene Arbeit zu erhalten. Gerade die Auseinandersetzung mit den spezifischen Herausforderungen der Visualisierung multipler, überlagernder Räume eröffnete neue Perspektiven, die in der Projektarbeit direkt umgesetzt wurden.
Der Austausch mit der wissenschaftlichen Community und den Prozess unserer Forschung transparent zu machen waren von Anfang an zentrale Anliegen des Projekts. Daher haben wir laufend über unsere Arbeit berichtet – auf diesem Blog etwa über die im Projekt erarbeiteten Ontologie-Entwurfsmuster zur Modellierung raumkonstitutierender Attribute, über die Herausforderungen bei der Bereinigung historischer Personendaten und über die Vorstellung des in DigiKAR verfolgten punktbasierten Ansatz zur Visualisierung. Wichtig war uns außerdem, das interdiziplinäre, kollaborative und explorative Arbeiten aus DigiKAR in die Lehre zu integrieren, um Studierende frühzeitig an teamorientierte Projektarbeit heranzuführen. Auch diese Erfahrungen zu verschiedenen Seminaren wurden in Beiträgen aus der Perspektive von Studierenden und Lehrenden reflektiert.
Fazit der Projektkoordination
Unsere Erfahrungen in DigiKAR haben gezeigt, dass interdisziplinäre Projektarbeit durch die Zusammenführung von Expert:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen viele Vorteile bietet: In einem interdisziplinären Team wird durch das Einbringen von diversen Kenntnissen und Perspektiven ein breites Spektrum an Kompetenzen zusammengetragen, mit dem innovative Lösungsansätze erarbeitet werden können. Die Kombination verschiedener Denkweisen und Erfahrungen fördert die Kreativität im Austausch von Ideen und das Überdenken etablierter Methoden. Interdisziplinäre Teams können komplexe Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und ein ganzheitliches Verständnis entwickeln. Dadurch können sie potenzielle Fallstricke erkennen, die in einem einzelnen Fächern möglicherweise übersehen würden. Zugleich aber ergeben sich durch die unterschiedlichen fachspezifischen Voraussetzungen, Arbeitsweisen und Anforderungen auch Herausforderungen.
Es ist wichtig, diesen Herausforderungen interdisziplinärer Projektarbeit gezielt zu begegnen, um vom Innovationspotential sowie der fachlichen und methodischen Bereicherung der eigenen Perspektive durch die gemeinsame Arbeit profitieren zu können. Dazu kann eine flexible und anpassungsfähige Projektkoordination beitragen, die iterative Arbeitsprozesse und Reflexionsschleifen ebenso berücksichtigt, wie die Dynamiken und kommunikativen Erfordernisse innerhalb der Projektgruppe. Besonders wichtig ist es, die Projektbeteiligten als Team zur Umsetzung gemeinsamer Ziele zusammenzubringen und einen geeigneten Rahmen zu schaffen, in dem Probleme gemeinsam diskutiert und kooperativ Lösungen erarbeitet werden können. Darüber hinaus ist es notwendig, sich in der Projektkoordination intensiv mit den Forschungsfragen, Konzepten, Abläufen und Inhalten in den verschiedenen Arbeitspaketen vertraut zu machen, um einen konstruktiven Austausch mit der wissenschaftlichen Community zu etablieren und Diskussionen so zu strukturieren und zu moderieren, dass sie inhaltlich für die gemeinschaftlichen Ziele und Ergebnisse fruchtbar gemacht werden können. Die Rolle der Projektkoordination dahingehend zu definieren und in der Konzeption des Projekts das hohe Maß an Kommunikations- und Koordinationsbedarf in interdisziplinären und kollaborativen Projekten zu berücksichtigen, hat sich für DigiKAR insofern als sehr positiv erwiesen.
Featured image: Foto von Matilda Alloway auf Unsplash
- Das Projekt wurde nach Ende der Laufzeit zuwendungsneutral um einige Monate verlängert und befindet sich aktuell im Abschluss. Die Dokumentation befindet sich daher zum Zeitpunkt der Erstellung des Beitrags noch in Bearbeitung und ist noch nicht vollständig. [↩]
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Constanze Buyken (19. Dezember 2024). Durch Projektkoordination Räume der Zusammenarbeit schaffen: Erfahrungen aus der „Digitalen Kartenwerkstatt Altes Reich“ (DigiKAR). DH Lab. Abgerufen am 7. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/12ynz